Luther und der Buchdruck
Am 31. Oktober 1517 – heute vor genau 500 Jahren – veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses. Der Überlieferung nach schlug er seine Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche und schickte sie mit Briefen an kirchliche Vorgesetzte. Dank des damals bereits etablierten Buchdrucks konnten sich die Thesen rasch im ganzen Land verbreiten.
Schrift und ihre soziokulturellen Auswirkungen
Vor der Erfindung der Schrift war die menschliche Kultur auf die Leistungsfähigkeit des Gedächtnisses beschränkt. Eine kleine, elitäre Gruppe von Priestern, Druiden und Schamanen bewahrte das Wissen, tradierte es und gab es weiter. Mit der Schriftentwicklung ließ sich zuvor mündlich überlieferte Kultur in Stein, auf Papyrus, Pergament, oder später Papier, festhalten (1). Der Mensch besaß nun einen »ausgelagerten« Speicher. Durch die Niederschriften von Wissen konnten Schriftgelehrte an zeitlich oder räumlich entfernten Erfahrungen teilhaben und diese verbreiten. Infolgedessen führten nun auch komplexere Organisationen der sozialen Gemeinschaften zur Bildung von Stadtstaaten und Beamtenbürokratien.
Zu Beginn blieb die Verbreitung schriftlich fixierter Informationen in ihrer räumlichen, zeitlichen und sozialen Dimension sehr begrenzt. Die Kosten für handgeschriebene Manuskripte waren außerordentlich hoch. Erst die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert veränderte alles. Innerhalb kürzester Zeit gingen aus ihm zwei wesentliche Wirkungsbereiche hervor: der technologische und der soziokulturelle. Für die Technik der Neuzeit wurde der Buchdruck zum ersten Modell arbeitsteiligen, industriellen Produzierens. Andererseits bat die Vervielfältigung nun die Möglichkeit, weltliche, kirchliche und wissenschaftliche Texte der Eliten zu verbreiten. Diese massenhaft publizierten Texte erschütterten die Welt in ihrer alten Ordnung (2).
Marshall McLuhan sprach von der »Gutenberg-Galaxis« um der Bedeutung dieser technischen Erfindung Nachdruck zu verleihen. Mit dem Buchdruck konnte man seinerzeit Gedrucktes in unvorstellbarer Geschwindigkeit, Menge und zu günstigen Preisen herstellen (3). Damit wurde das Monopol der Klosterbibliotheken und des Adels gebrochen. Der kleine Markt der Latein-sprechenden und -lesenden Bildungselite reichte bald nicht mehr aus, um das Angebot an Büchern abzudecken. Ein dringendes Bedürfnis nach nationalen Schriftsprachen und einem entsprechenden nationalen Buchmarkt formte sich. Mit der Entwicklung von ökonomisch günstigen Büchern entstanden große Laienlesegemeinschaften, die kein Latein sprachen und lasen. Die neu entstandenen Gemeinschaften entwickelten sich allmählich zu nationalen Sprach- und Lesegemeinschaften (4).
Luthers Einfluß auf die deutsche Sprache
Martin Luther verdankt sein einflussreiches Wirken vor allem der Druckkunst: 1522 übersetzte er die Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche, und führte Sprachbegriffe verschiedener nationaler Dialekte zu einer einfacheren und allgemein verständlichen »deutschen Sprache« zusammen. Wortschöpfungen wie »Machtwort«, »friedfertig« oder »Lästermaul« gehen auf ihn zurück. Mit Hilfe des Buchdrucks verbreitete er seine reformatorischen Ideen in seiner griffigen deutschen Sprache, so dass sich heute Hamburger und Bayern – überwiegend – desselben Wortschatzes bedienen (5)