
Direkt vorweg: Gimlet ist heiße Anwärterin für meine Lieblingsschrift des Jahres und das auch nach dem zweiten, dritten, vierten und fünften Blick! Dass sie sich deutlich von der Masse abhebt und Texten zu einem starken Auftritt verhilft, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis hervorragender Konzeptarbeit und Handwerk. Hier stelle ich Euch die Gimlet und ihren Entwerfer David Jonathan Ross vor, mit dem ich ein sehr interessantes Interview geführt habe.
Der in New Hampshire lebende Designer und Programmierer David Jonathan Ross ist meiner Meinung nach einer der talentiertesten jungen Typendesigner aus den USA. Schon während seines Studiums am Hampshire College begann er Fonts zu entwickeln und betreibt, nach seiner Zusammenarbeit mit Font Bureau, seit Mai diesen Jahres sein eigenes Schrift-Label DJR. Zu seinen Schriften zählen u.a. Manicotti, Turnip, Input, Output und Bungee.
Vor drei Jahren habe ich David geschrieben, wie begeistert ich von seiner Turnip sei (die Textschrift dieses Blogs) und fragte ihn, woran er gerade arbeite. Daraufhin schickte er mir Schriftmuster einer in der Entwicklung befindlichen großen Schriftfamilie. Ich konnte es kaum glauben: Sie basierte auf der Schadow Antiqua über die ich kurz zuvor einen Artikel geschrieben hatte. Im Mai erschien dann zum Start seines frisch gegründeten Schrift-Labels die wunderbare Gimlet!
Schadow Antiqua – Historie einer Patchworkfamilie
Die Einzigartigkeit der Gimlet versteht man am besten mit einem Blick auf die 1938 erschienene Schadow Antiqua von Georg Trump. Leider ist sie — zu unrecht, wie ich finde — in Vergessenheit geraten und das vor allem, weil sie als Bleisatzschrift den Sprung in die Fotosatz-Ära nicht geschafft hat. Grob beschrieben, würde man die Schadow Antiqua als Textschrift mit Displayqualitäten bezeichnen. Ihre Abstammung von der klassizistischen Antiqua zeigt sich an der vertikalen Schattenachse mit Betonung der vertikalen Stämme. Charakteristisch sind ihre eckig angesetzten Serifen und ausgeprägte Kontraste. Das Neue daran war damals die superelliptische Form der runden Buchstaben — die wenig später in der Melior wieder auftauchten — und die breit proportionierten Buchstaben der mageren und leichten Schnitte. Obwohl man die Schadow Antiqua den seifenbetonten Antiquas zuordnen kann, ist sie weniger modular und in vielen Details verspielter als zeitgenössische Schriften wie Beton oder Memphis.

Schadow-Antiqua Werk, Bleisatz, 36 pt

Schadow-Antiqua mager, Bleisatz, 36 pt
Insgesamt umfasst die Schrift 8 Schnitte, die über einen Zeitraum von 14 Jahren entwickelt und veröffentlicht wurden. Nach heutigen Maßstäben würde man jedoch kaum von einer echten Familie sprechen, denn die Schadow Antiqua wirkt formal uneinheitlich. In jedem Schnitt gibt es unterschiedliche Formdetails. Selbst Buchstaben wie das kleine ›g‹, ›k‹ oder ›ß‹ variieren zwischen den Schnitten. Beitrag zu Ende lesen